Sonntag, 28. August 2022

Eine Schach-Stellung für fast alle Fälle

Weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber manche Begriffe bleiben einem im Gedächtnis, obwohl sie Jahrzehnte nicht angesprochen worden sind. Mir geht es so mit dem Wort "Weltstellung". Die führt hier jetzt sogar zu meiner Rezension des Schachbuchs "Ein einfaches Eröffungsrepertoire für Weiß". Geschrieben von Sam Collins (39), einem Internationalen Meister aus Irland. Aber der Reihe nach! Vor kurzem erreichte mich auf meinem Stream-Kanal bei Twitch.tv die KLage eines Followers, er habe Probleme, sich ein gutes Eröffungsprogramm zusammen zu stellen. Der Mann spielt mit Weiß 1.e4, zieht also den Königsbauern zwei Schritte vor. Da fiel sie mir wieder ein, die Weltstellung, die aus so vielen Eröffnungsvarianten entstehen kann. Gemeint ist die weiße Struktur mit dem isolierten Bauern auf d4, die zur Universalwaffe werden kann. Panow gegen Caro-Kann. 2.c3 gegen Sizilianisch. Auch gegen Aljechin (1...Sf6) und Französisch (1...e6) kann die Isolani-Stellung mit ihrem freien Figurenspiel und guten Angriffschancen erreicht werden. Es ist also ein System für fast alle Fälle. Als ich im Stream davon erzählte, schrieb ein anderer Follower im Chat: "Darüber gibt es doch ein Buch." Was ich bis dahin gar nicht wußte. In der Einführung von "Ein einfaches Eröffungsrepertoire für Weiß" schreibt Collins: "Meiner Ansicht nach sollte man bei der Auswahl einer Eröffnung darüber nachdenken, zu welchen Mittelspielstellungen (und insbesondere zu welchen typischen Strukturen) sie führt. Da alle Mainstream-Eröffnungen einwandfrei spielbar sind, geht es vor allen Dingen darum, dass man eine Stellung auswählt, bei der man sich nach 10-15 gespielten Zügen wohlfühlt." Jedermanns Sache ist die Weltstellung freilich nicht, denn der isolierte Bauer auf d4 neigt gerade in Endspielen zur Schwäche. Das weiß natürlich auch Sam Collins. Er ist ein erfahrener Spieler (Elo 2460), Schach-Trainer und Autor. 2002 und 2014 gewann er die Meisterschaft seines Landes, das er bei zahlreichen Olympiaden vertrat. Zudem hielt er Vorträge an der Berkeley Chess School in Kalifornien (USA). Zur Einführung in die Weltstellung wählte Collins die Partie von Ding Liren gegen Lu Shanglei (Danzhou 2015). Schwarz gab im 20. Zug auf. Ein anderes schönes Besispiel wäre die Partie Smyslow gegen Karpow (UdSSR-Meisterschaft, 1971) gewesen, in der Karpow bereits im 14. Zug auf Verlust stand. Großmeisterin Irina Krush (38, USA) zeigt sie ihren Schülern noch heute, sagt: "Karpow erzielte gegen die Isolani-Stellung für seine Verhältnisse keine guten Ergebnisse." Der Begriff Weltstellung stammt übrigens von Schachtrainern der Hamburger Gelehrtenschule Johanneum. Wer das Wort erfunden hat, ist heute nicht mehr überliefert. Ich jedenfalls hörte von der Weltstellung erstmals im Jahr 1976 (!). Das Buch "Ein einfaches Eröffungsrepertoire für Weiß" (176 Seiten, 41 ausführlich kommentierte Partien, Paperback) ist erschienen im Gambit-Verlag. Es entstand in den Jahren 2016/17 und kostet 17,95 Euro. Klare Empfehlung!