Samstag, 23. März 2024

Was der WM-Titel mit Fabiano Caruana und St. Louis zu tun hat

Drei Inder, zwei US-Amerikaner und jeweils ein Russe, ein Aseri und ein in Frankreich lebender Iraner. Ab 4. April sind die Herren am Zug beim WM-Kandidatenturnier in Toronto (Kanada). Wer’s gewinnt, wird Herausforderer von Ding Liren (31), dem Schach-Champion aus China. Für Großmeister (GM) Benjamin Bok (29) ist der Ami Fabiano Caruana (31, Foto, Credtit: Barnos) Mitfavorit: “Er hat Erfahrung, selbst schon ein WM-Match gespielt und ist im richtigen Alter. Außerdem wirkt sein Spiel enorm verbessert.” Weltranglisten-Zweiter Caruana lebt wie Bok und etliche weitere GM in Saint Louis (USA, US-Staat Missouri). Die dortige Schachszene wird kräftig unterstützt von Rex Sinquefield (79), einem erzkonservativen Dollar-Milliardär. Den würde es sicher freuen, einen Schachweltmeister in der Nachbarschaft zu haben. Deshalb dürfte Caruana alle möglichen Ressourcen (Trainer, Sekundanten) für den Erfolg zur Verfügung stehen. Es sind Kleinigkeiten, die es gilt, zu verbessern. Die ersten 16 Züge im Durchschnitt spielt Caruana schnell und ohne großes Nachdenken, weil sie vor den Partien vorbereitet sind. Caruana kennt sich also aus. Ein Spitzenwert ist das aber nicht, rechneten Experten in in St. Louis aus. Sicher ist, dass ihn Grigori Oparin (26) und Christian Chirila (33) sekundieren. Lewon Aronjan (40) sagt: “Fabiano und ich arbeiten viel zusammen.” Wahlheimat des GM-Trios ist ebenfalls Missouri. Für Bok ist Caruanas größter Konkurrent US-Boy und Rekord-Streamer Hikaru Nakamura (36): “Online bei scheller Bedenkzeit erreicht Hikaru oft aus den Eröffnungen schlechte Stellungen.” In Toronto wird er sich das nicht erlauben können. Für die ersten 40 Züge stehen den Spielern jeweils 120 Minuten zur Verfügung. Bok: “Wenn Hikaru das Eröffnungsproblem löst, kann er das Turnier gewinnen.” Für Caruana und Nakamura sieht er dafür gleiche Chancen - jeweils 25 Prozent. Außergewöhnlich ist Hikarus Sekundanten-Wahl. Neben GM Wesley So (30) assistiert ihm der titellose Kris Littlejohn (40). Der hat seit mehr als 20 Jahren keine gewertete Turnierpartie gespielt und eine Elozahl von 2156 - 633 Punkte weniger als sein Chef! Den Russen Ian Nepomniachtchi (33) sieht Bok in etwa auf Augenhöhe: “Er gewann bereits zwei Kandidatenturniere und hat ein eingespieltes Team.” Chef-Sekundant war zuletzt Ex-Weltmeister Wladimir Kramnik (48). Außenseiterrollen übernehmen in Toronto die Inder GM Gukesh (17), GM Praggnanandhaa (18) und GM Vidit (29). Auch der Iraner GM Alireza Firouzja (20) steht nicht hoch im Kurs. GM Anish Giri (29) auf “X” (ehemals Twitter): “Wir diskutierten unter Schachfreunden gerade über die Kandidaten. Alirezas Name fiel kein einziges Mal.” Vor lösbaren Aufgaben dürfte GM Nicat Abasov (29) in Toronto kaum stehen. Mit Elo 2632 steht der Aserbaidschaner lediglich auf Platz 110 der Weltrangliste, Ihn werden die Gegner in allen Partien schlagen wollen.

Sonntag, 10. Dezember 2023

Frische Themen, neues Aussehen: Der Schachkalender 2024 ist da

Das Cover zeigt nur eine Jahreszahl, keinen Titel. Stattdessen 35 schwarze und weiße Felder-Quadrate. Der "Schachkalender 2024" (Foto) ist da und mit Neu-Herausgeber Stefan Löffler weht ein frischer Wind durchs Blatt.Verbunden wird der durch originellen Lesestoff zu aktuellen Debatten mit historischem und literarischem Anspruch. Etwa über die Unterschiede von Schach und Skat beim Online-Spielen oder das Interview über einen polnischen Schachspieler, der nur mit seinem Kater auf dem Schoß zur Bestform fand. Der lange abgetauuchte Weltmeister Ding Liren kommt ebenso zu Wort. Es gibt 30 Kurzportraits von Machern im Schach. Und es wird der Frage nachgegangen, wie der vor hundert Jahren gegründete Weltschachverband Fide zum Spielball russischer Interessen wurde und welche Folgen das hat. Löffler ist Schach-Experte und Herzblut-Journalist, trägt den Titel Internationaler Meister und schreibt unter anderem die wöchentliche Schachkolumne der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Er über die Inhalte des Kalenders: "Wir hoffen, dass mit unseren Themen zahlreiche Diskussionen angeregt werden." Im Vorwort schreibt Löffler über die Neugestaltung des Buches: "Im Anhang haben wir einiges weggelassen, was sich online nachschauen lässt." Aus 272 Seiten sind 224 geworden. Nicht teurer, sondern günstiger. Löffler übers Sparkonzept: "Dank der Verschlankung und Kartonierung können wir den Ladenpreis um 20 Prozent senken." Statt 17,50 Euro kostet er jetzt 14 Euro. Wer zehn Stück ordert, zahlt 99 Euro. Auch geboten werden dafür interessante Jahrestage und Jubiläen wie runde Geburtstage deutscher und internationaler Schach-Persönlichkeiten. Jede Woche enthält Wissenswertes und Witziges rund ums Schach. Aufgaben zum Lösen gibt's obendrein. Löffler: "Rundum erneuert ist die Optik." Der Berliner Designer Wolf Bōese sorgte für das freche Layout - so fernab alter Gewohnheiten, allerdings mit geringer Schriftgröße. Vor Löffler führte 40 Jahre Arno Nickel Regie beim Schachkalender. Nickel tritt jetzt kürzer. Der Neu-Herausgeber über ihn: "Vielleicht kommt Arno Nickel manches in dieser 41. Ausgabe seines Kindes wie Science Fiction vor." "Schachkalender 2024" - glatte Empfehlung! Edition Marco, 14 Euro, 224 Seiten, 180 Gramm, ISBN: 978-3-924833-88-6.

Samstag, 28. Oktober 2023

Carlsen: Sieht gut aus, den lasse ich so stehen

Hat bestimmt jeder Schachspieler schon erlebt - und es passiert sogar Magnus Carlsen, dem besten Spieler aller Zeiten. Wegen der zahllosen Möglichkeiten wissen wir oft nicht, mit welcher Eröffnung wir starten sollen, haben die Qual der Wahl. Carlsen, der frühere Weltmeister, im Interview nach seiner Auftaktpartie gegen den international wenig bekannten IM Srihari (Indien) beim Open in Katar: “Ich hatte mich auf meinen Gegner nicht vorbereitet und keine Ahnung, welchen ersten Zug ich mit Weiß machen soll.” Erheblichen Anteil an Carlsens Entscheidungsfindung hatte dann Mohamed Al Mudahka, Präsident des katarischen Schachverbands und ebenfalls Großmeister (GM). Wie bei größeren Turnieren üblich, begann auch das Katar Open mit einer Show. Unter Blitzlichtgewitter schob Al Mudahka Carlsens Bauern zwei Schritte vor auf das Feld c4 (Foto, Quelle: Homepage des Veranstalters). GM Jon Ludvig Hammer (Norwegen) hadert mit der Praxis, dass fast alle Spieler nach dem Promi-Fototermin, die Figur auf ihr Ursprungsfeld zurückziehen: “Das sollte abgesprochen werden. Sponsoren und Funktionäre geben sich alle Mühe und viel Geld, um solche Veranstaltungen auf die Beine zu stellen. Für mich als Organisator wäre es ein Schlag ins Gesicht, wenn mir das geschehen sollte. Mein Auftaktzug sollte auch der des Turniers sein.” Sah Carlsen ebenso: “1.c4 sieht gut aus. Den lasse ich so stehen.” Bei GM Anish Giri an Tisch drei wäre das nicht möglich gewesen. Dort hatte der ahnungslose Promi was falsch verstanden. Er spielte irregulär 1.Ke3! Carlsen jedenfalls erwischte einen prima Tag, siegte in nur 23 Zügen. Später lief es für ihn nicht so gut. Am Ende erzielte er sechs Punkte aus neun Partien - nur Platz 16.Turniersieger ist Nodirbek Yakubboev (sieben Punkte, aus Usbekistan), der seinen punktgleichen Landsmann Nodirbek Abdusattorov im Tierbreak schalagen konnte. Der Preisfond des Turniers lag bei 110000 Dollar. Dieser Text erschien in großen Teilen zuerst im "Maulbär", dem monatlichen Kulturkalender für Berlins Südosten.

Freitag, 6. Oktober 2023

Wo ein Pferd gar nichts wert ist

Es waren die ersten Tipps meines Schulschach-Trainers, daran erinnere ich mich genau. Schon damals sagte der Coach: “Springer am Rand - bringt Kummer und Schand. Stelle deine Figuren auf Felder, die das Zentrum beherrschen!” Königsbauer zwei Schritte vor 1.e4) oder ebenso Damenbauer vor (1.d4) sind bis heute die gängigen Eröffnungszüge. Bei der “Speed Chess Championship” (150000 Dollar Preisfond) auf der Online-Plattform “chess.com” schlug Schach-Streamer und Weltklasse-Großmeister Hikaru Nakamura (USA, Dritter der Weltrangliste) mehrfach all diese Regeln in den Wind. Gegen Fabiano Caruana (USA, Weltranglisten-Zweiter) landeten zum Beispiel 1.a3, 1.h3 und 1.Sh3 auf dem Brett. Nakamura umging damit die Varianten seines Gegners. Caruana gilt als der am besten vorbereitete Spieler der Welt. Nakamura triumphierte im Match am Ende mit 18,5 zu 8,5 Punkten.Er riskierte schlechtere Stellungen, verteidigte die mit blitzschnellen Zügen, lud somit zu Fehlern ein. Den Vorwurf der Arroganz gegenüber seinem Gegner wollte Nakamura auf X (ehemals Twitter) nicht gelten lassen. Er schrieb: “Ich mache nur das, was der Ex-Weltmeister auch macht." Gemeint ist Magnus Carlsen (Norwegen) Der schockte schon mit 1.g4. Früherer Carlsen-Sekundant und heutige Bundestrainer, Jan Gustafsson, kommentierte trocken: “Hoffentlich musste der Quatsch nicht von Carlsens Trainer-Team ausanalysiert werden…” Hobbyspieler sollten übrigens nicht mit solchen Zügen experimentieren. Für sie gilt weiter: Am Rand steht ein Pferd, das ist gar nichts wert.

Dienstag, 12. September 2023

Schach-Legende, die an Nachwuchs denkt

Der Schachzug krachte in ihre Stellung wie eine Granate, Ihren Humor scheint Elisabeth Pähtz (38) deshalb aber nicht verloren zu haben. “Der Moment als sie mit der Dame auf e4 schlug”, twitterte sie und zeigte dazu ein Video, in dem ein Badegast unfreiwillig ins Wasser klatschte. Gemeint mit dem witzigen Clip ist die alles entscheidende Pähtz-Partie beim World Cup in Baku (Aserbaidschan), der im August über die Bretter ging. Im Viertelfinale des Turniers sass Pähtz Anna Muzychuk (33, Ukraine) gegenüber. Die nahm ihr mit Zauberhand blitzschnell einen Springer ab und ließ der Rand-Berlinerin für den Moment keine Chance, im Rennen zu bleiben im Kampf um den WM-Titel. Ärgerlich für Schach-Profi Pähtz, die dennoch längst eine Legende ist. Spätestens seit Ende vergangenen Jahres, als der Weltschachverband Fide ihr den Großmeister-Titel bestätigte. Das schafften bisher nur 40 Frauen. Pähtz ist die einzige Deutsche. Der Weg dorthin begann schon in der Kindheit. Trainiert von Vater Thomas (66, ebenfalls Großmeister) gewann die damals neunjährige Göre ihre erste Deutsche Meisterschaft (U11). Im Jahr 2002 wurde Pähtz Jugendweltmeisterin (U18) und 2018 Europameisterin im Schnellschach. Gefragt ist Pähtz auch im TV. Etwa als Gast in Talkrunden. Seit Anfang September tritt Pähtz sogar als Marken-Botschafterin an, macht Werbung für die Fondgesellschaft Union Investment. Vorm World Cup deutete sie die Möglichkeit an, aus “familiären Zusammenhang” beim Schach kürzer zu treten. Leider wurde in dem Interview nicht nachgehakt, was das konkret bedeutet. Wäre Top-Talkern wie Heinz Florian Oertel (1927-2023) nicht passiert. Der hätte sicher charmant gefragt: “Dürfen wir uns Hoffnung machen auf Nachwuchs in der Familie Pähtz …"

Montag, 3. Juli 2023

Lieber Lebemann statt Schach-Weltmeister

Liest sich wie ein schlechter Scherz, was Schach-Journalist Conrad Schormann ("Perlen vom Bodensee") mit Blick auf die Juni-Weltrangliste witzelte. Er via Twitter: “Ganz oben ein Hobbyspieler und Privatier, dann ein Streamer, dann ein Modedesigner. Erst auf vier der erste Schachprofi.” Klingt verrückt, ist im Kern aber richtig. Nach seinem freiwilligen Rückzug als Weltmeister hat sich Magnus Carlsen (Platz 1, Norwegen) tatsächlich sehr verändert, gibt statt harter Arbeit am Schach lieber den Lebemann. Pokert viel, macht Partys mit seinen Model-Freundinnen, trägt lange Haare und Vollbart. Zudem kursieren im Internet mehrere Videos mit Trinkgelagen. Kürzlich beim Weltklasseturnier “Norway Chess” gelang ihm bei klassischer Bedenkzeit kein einziger Sieg (acht Remis, eine Niederlage). Das war Carlsen zuletzt vor 16 Jahren passiert. Stattdessen triumphierte dort Hikaru Nakamura, krallte sich den Siegerpreis von 65000 Euro. Als Schachprofi sieht sich der US-Amerikaner dennoch nicht: “Mein Job ist im Internet.” Nakamura streamt auf nahezu allen Plattformen, erklärt den Fans zumeist live seine Züge. Allein auf YouTube folgen ihm zwei Millionen Abonnenten. Auf die ganz große Bühne will auch Iran-Franzose Alireza Firouzja (Platz 3), der sich weniger um seinen König kümmert, sondern mehr ums Outfit. Firouzja steckt viel Zeit in seinen Zweitberuf als Modemacher. Seitdem wirken seine Anzüge noch ein wenig edler als seine Züge. Ach, ja! Dann ist da noch Platz 4 - der zurückhaltende Fabiano Caruana (USA). Sein Tagesprogramm: Acht bis zehn Stunden Schach, danach Squash oder Yoga. Zum Entspannen: TV.

Freitag, 17. März 2023

Schach-Stars hauen aus Russland ab

Viel los in der Schachwelt - und zumeist haben damit die Russen zu tun. Großmeister Alexei Sarana (23) etwa, der gerade die Europameisterschaft vor 480 Spielern in Serbien gewann. Gejubelt darüber wurde im Kreml wohl kaum. Denn Sarana war neben weiteren Russen im März vergangenen Jahres nicht in seine Heimat zurückgekehrt. Stattdessen mietete er eine Wohnung in Belgrad. “Ich liebe Russland, aber ich hasse die Politik”, sagt der Schachprofi über den Angriffskrieg seines Landes gegen die Ukraine und trat aus dem russischen Verband aus. Inzwischen ist die Liste der abgewanderten Denksportler lang und ziemlich prominent. Großmeister Dimitri Andreikin (33, 20. der Weltrangliste) zog es nach Nordmazedonien, Ex-Weltmeisterin Alexandra Kosteniuk (38) tritt jetzt unter Schweizer Flagge an, Daniil Dubov (26, 32) agiert aus Kasachstan.
Die freche Top-Schach-Streamerin Dina Belenkaya (29, Foto: Gibraltar Chess Festival) wechselte nach Israel. Statt aus St. Petersburg geht sie nun in ihrer Wahlheimat Paris online. Oder aus den USA. In Charlotte (North Carolina) spielt die gefragte Kommentatorin gerade eine Turnierserie, war vor wenigen Monaten in Los Angeles (Kaliforrnien) siegreich als Schach-Boxerin im Ring. Über Kasachstan war übrigens auch der weniger bekannte Großmeister Alexandr Rakhmanov (33) nach Georgien geflohen, fing quasi ganz neu an. Seine florierende Schachschule in Cherepovets (etwa 400 Kilometer nördlich von Moskau, 315 000 Einwohner) hatte er aufgeben. Offenbar aus Angst vor der Armee-Einberufung, die in Russland bis zum Alter von 45 Jahren möglich ist. Inzwischen lebt Rakhmanov mit Frau und Kind in Astana (Kasachstan). Jan Nepomniachtchi (32, “Nepo”) weilt dagegen weiter in Moskau, bereitet sich auf den WM-Kampf gegen Liren Ding (30) vor. Das Match beginnt ab 7. April ebenfalls in Kasachstan (Almaty). Zudem baut sich “Nepo” gerade ein zweites berufliches Standbein auf. Als Gastronom. Er kaufte sich den legendären World Chess Club. Deren Ex-Besitzer sind ebenfalls aus Russland abgehauen. Unter anderem nach Tiflis (Georgien), London und Berlin, wo sie Unter den Linden (Mitte) ihren Club nach Moskauer Vorbild wiedereröffnen wollen.