Wer Stammkunde ist im Kaufhof am Berliner Alexanderplatz findet in der Raucherecke schnell Kontakt zum Sicherheitspersonal. Detektive, die Diebe jagen und sich eine Pause gönnen, paffen in zivil. Wachleute, die die Türen bewachen, stehen da einheitlich in dunklen Anzügen und weißen Hemden. Der neue Mann ist anders. Ein bulliger, junger Typ mit kurzen, schwarzen Haaren und türkischen Wurzeln. Das passt noch ins Profil. Er aber trägt eine Schutzweste.
Es gibt viele Zahlen über den Alexanderplatz, den Politik und Polizei als gefährlichen Ort einstufen. Jeden Wochentag steigen im Bahnhof 250 000 Menschen ein, aus oder um. Zusätzlich 90 000 Besucher flanieren vorbei an Weltzeituhr und den Geschäften.
Täglich 360 000 Menschen. So viel, wie alle Einwohner der Städte Cottbus, Potsdam und Schwerin gemeinsam!
Der neue Sicherheitsmann hat seine eigene Geschichte: "Ich trage die Schutzweste, weil ich zwei Mal mit Messern angegriffen worden bin." Bei einer Attacke verfehlte die Klinge nur knapp seine Niere. "Ich habe das zuerst gar nicht gemerkt. Nach dem Stich wurde es an der Stelle heiß, dann sah ich das Blut." Mit Bewährung sei der Angreifer davon gekommen, habe allerdings 15 000 Euro Schmerzensgeld zahlen müssen. "Dass ich meine Gesundheit riskiere, gehört zum Job. Mit der Weste gehe ich mit einem besseren Gefühl zu Arbeit".
Knapp 500 Körperverletzungen auf dem Alex stehen in der jährlichen Polizeistatistik, etwa 1600 Taschendiebstähle, rund 50 Raubtaten. Nahezu jeden Abend flackert über den Platz das Blaulicht der Polizeiautos und Rettungswagen.
Frage an den Sicherheitsmann: "Bietet die Weste auch Schutz vor Schüssen?" Antwort: "Ja, aber nur bis Kaliber 22."
Die Angst geht also um am Alexanderplatz und wer ihn wegen der erhöhten Kriminalität meidet, sollte besser nicht nach Chicago (USA) reisen. An einem verlängerten Wochenende im Juli gab es dort mehr als 100 Schießereien mit 18 Toten und 86 Verletzten. Gehört da zum Alltag. Wie hier inzwischen eine Schutzweste am Alexanderplatz ...